Ernst Gisel (1922–2021)

Geb. 8. Juni 1922 in Adliswil, Zürich, gest. 6. Mai 2021 in Zürich

Ernst Gisel besuchte nach einer Bauzeichnerlehre im Büro von Hans Vogelsanger in Zürich (1938–1940) den Unterricht von Wilhelm Kienzle und Willy Guhl an der Kunstgewerbeschule Zürich (1940–1942) und nahm gleichzeitig als Fachhörer an Vorlesungen der ETH Zürich teil. Von 1942 bis 1944 erhielt er als Mitarbeiter im Atelier von Alfred Roth einen Einblick in die architektonische Tradition der Moderne und entschloss sich 1945 – in den ersten beiden Jahren noch gemeinsam mit Ernst Schaer – ein eigenes Architekturbüro in Zürich zu führen.

In kurzer Zeit war er bei mehreren Wettbewerben erfolgreich und konnte zunächst das Schulhaus Recken in Thayngen (Wettbewerb 1947, ausgeführt 1950–1952) und anschliessend seine erste grosse Bauaufgabe mit überregionaler Bedeutung – das Parktheater in Grenchen – realisieren (Wettbewerb 1949, ausgeführt 1953–1955). Mit dem Parktheater Grenchen gelang Ernst Gisel eines der ersten gültigen Beispiele im multifunktionalen «Gemeinschaftsbau», dessen Nähe zur skandinavischen Architektur und besonders zu Alvar Aaltos Rathaus in Säynätsalo stets hervorgehoben wird. Grenchen brachte ihm internationale Anerkennung und liess viele weitere wichtige kommunale Bauaufgabenfolgen folgen.

Im Schulhausbau – mit den frühen Beispielen der Schule Letzi (1954–1956) und der Schule Auhof (1956–1958) in Zürich – entwickelte Gisel neue typologische Lösungen, die er später mit dem Schulzentrum Mühleholz (1970–1973) und der Liechtensteinischen Ingenieurschule (1988–1999) in Vaduz erweiterte. Zahlreiche Kirchen und Gemeindezentren, wie in Effretikon (1958–1961), Stuttgart-Sonnenberg (1964–1966) oder Steinhausen (1978–1981) behaupten sich durch unkonventionelle Lösungen und eine hohe Plastizität der Baukörper. Die Kirchen in Effretikon und Reinach (Wettbewerb 1958, ausgeführt 1961–1963) sowie das Schulhaus in Engelberg (Wettbewerb 1961, ausgeführt 1965–1967, Umbau 1994–1998) weisen eine ästhetische Nähe zum Brutalismus auf, unterscheiden sich aber grundlegend hinsichtlich des Gestaltungsprozesses, den Gisel nachdrücklich als einmaligen künstlerischen Vorgang beschrieb: «Jedes Haus ist eine Plastik.»

Auch spätere stilistische Einflüsse der «Tessiner Schule» wirken nur oberflächlich und treten hinter Gisels Vorstellung von Architektur als einem plastischen Prinzip zurück. Neben dem Bauen für die Öffentlichkeit und die Gemeinschaft – zu dem auch Gisels Beitrag an der Schweizerischen Landesausstellung Expo 64 in Lausanne gehört – ist es der Wohnungsbau, mit dem sich Gisel bis heute stark identifiziert. Die Rücksicht auf die Bedürfnisse der Nutzer und die Wahl der angemessenen Materialien und Techniken für individuelle Lösungen sind hier sein Hauptanliegen. Der frühe Geschosswohnungsbau an der Hegibachstrasse in Zürich (1958–1960) hatte ihm den Auftrag für die Planung eines Sektors des Märkischen Viertels in Berlin eingetragen (1965–1969). In dieser Zeit (1966–1971) führte Gisel ein zweites Atelier in Berlin. In kleinerem Massstab realisierte er die Wohnbebauung Friesenberghalde für die Familiengenossenschaft Zürich (1967–1973), den Geschosswohnungsbau Wettingerwies (1977–1979) oder das Städtische Altersheim Stampfenbach (1985–1988, erweitert 2006) in Zürich.

In Ernst Gisels über 60 Jahre währender Architektentätigkeit entstanden zahlreiche Bauten in der Schweiz, in Deutschland, Österreich und im Fürstentum Liechtenstein, darunter auch seit den 1980er Jahren vermehrt Grossprojekte wie das Rathaus in Fellbach (1983–1986), das Kundenzentrum der Stadtwerke in Frankfurt am Main (1986–1990) oder das World Trade Center in Zürich (1991–1995). Seit den 1990er Jahren war das Büro auch mit Erweiterungen eigener Bauten aus den 1950er und 1960er Jahren betraut, wie dem Kongresshaus Davos (1988–1990), dem Parktheater Grenchen (1994/95) und dem Gemeindezentrum der Evangelisch-reformierten Kirche Effretikon (1994/95).

Almut Grunewald

Zitierweise: Almut Grunewald, Bestandsbeschrieb Ernst Gisel, in: Website des gta Archivs / ETH Zürich, Juli 2011, archiv.gta.arch.ethz.ch/nachlaesse-vorlaesse/ernst-gisel
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Bestand



Der Nachlass Ernst Gisels enthält Pläne, Akten, Fotografien, Modelle, Wettbewerbsunterlagen und Möbelentwürfe zu rund 430 Projekten. Das Material wurde in seiner originalen Ordnung belassen und projektweise erfasst. Die Baumaterialsammlung des Atelier Gisel befindet sich in der Materialsammlung der Baubibliothek, ETH Zürich.
Im Einzelnen umfasst der Bestand:
  • 269 Schachteln (35 × 25 × 12 cm) Pläne und Akten
  • 468 Archivschachteln Pläne und Akten
  • 233 Rollen Planmaterial
  • 147 Flachschachteln (94 × 64 × 4 cm) Pläne
  • 103 Bändelmappen Pläne
  • 100 Modelle
  • 25 Planschubladen Wettbewerbsunterlagen
  • 12 Hängeregisterschubladen mit Fotografien, Typoskripten und Zeitschriftenartikeln zu einzelnen Bauten und Projekten
  • 3 Laufmeter Zeitschriften
  • 1,5 Laufmeter Planbücher
  • 1 Laufmeter Abrechungsbücher
  • 1 Laufmeter Unterlagen zu Preisgerichten
  • 30 Schachteln Diapositive
  • diverses Material zu eigenen Ausstellungen (Tafeln, Broschüren, Kataloge)


Ausgewählte Literatur


  • Ernst Gisel, Sonderbeitrag mit Texten von Alfred Roth, Werner A. Haker, Marianne Gisel, in: a + u. Architecture and Urbanism 81 (Aug. 1977), S. 3–76.
  • Ernst Gisel, Sonderbeitrag mit Texten von Luigi Snozzi, Jean-Claude Steinegger, Frank Werner, Ernst Gisel, Marianne Gisel, in: Werk, Bauen, Wohnen 69 (1982), Nr. 7/8, S. 18–71.
  • Peter Disch, Ernst Gisel – omaggio ad un architetto, in: Rivista Tecnica 73 (1982), Nr. 1, S. 42–52.
  • Ernst Gisel – Zürcher Bauten, Konzept und Text von Bruno Maurer, Zürich 1992 (Das kleine Forum in der Stadelhofer-Passage 11).
  • Luigi Snozzi, Ernst Gisel. Ein Meister der deutschschweizerischen Architektur, in: AS. Schweizer Architektur / Architecture suisse / Architettura svizzera 23 (1994), Nr. 113, S. VII–XII.
  • Bruno Maurer und Werner Oechslin (Hg.) in Zusammenarbeit mit Almut Grunewald, Ernst Gisel Architekt, 2., überarb., erw. und aktual. Aufl., Zürich: gta Verlag, 2010 (mit Werkverzeichnis und Bibliografie).